David Liske, 1983 in Tübingen geboren, studierte zunächst neun Semester Deutsch, Geschichte und Philosophie, um sich dann an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart zum Schauspieler ausbilden zu lassen (Diplom 2011). In seinem Erstengagement am Landestheater Tübingen spielte er unter anderem Robespierre in »Dantons Tod«, Ferdinand in »Der jüngste Tag« sowie Troilus in »Troilus und Cressida«. Nach zwei Jahren im Ensemble des Theaters Baden-Baden lebt David Liske seit September 2016 wieder in Tübingen. Am Theater Reutlingen Die Tonne war er seitdem unter anderem als Peachum in der "Dreigroschenoper", Mercutio in "Romeo und Julia", Ofen-Wolf in "Tätowie
rung" sowie Michel in "Gott des Gemetzels" zu sehen. Zu seinen nächsten Projekten dort gehören Ernst Ludwig in "Cabaret" sowie die männliche Hauptrolle in "Gift - Eine Ehegeschichte". Neben seinen Aktivitäten auf der Bühne ist David Liske freier Sprecher für den SWR und arte und dreht fürs Fernsehen, darunter finden sich Rollen im "Tatort Stuttgart" und vier verschiedenen "SOKO"-Formaten sowie der Spielfilm "Schöne heile Welt", worin er den Sohn von Richy Müller geben durfte. Eine seiner größten Leidenschaften bleibt das Kino in all seinen Facetten, seit 2003 tippt er deswegen regelmäßig Filmkritiken ins Netz.
Past Lives (von Celine Song)
“Past Lives erzählt eine so universelle wie persönliche Geschichte um eine Liebe, die immer da war, obwohl sie nie wirklich stattfand…”
Hört hier die Filmkritik von David Liske zu “Past Lives” von Celine Song:
-
Rezension: 50 Shades of Pink (“Barbie”)
Das Publikum im ausverkauften Arsenal scheint dem Film entsprungen zu sein, jeder Ton der
Farbe Pink lässt sich erblicken. Endlich hat das lange Warten auf den Film ein Ende. Die Klänge
von Also sprach Zarathustra ertönen, die Beine einer blonden Frauenfigur recken sich endlos
aus dem Wüstenboden der aufgehenden Sonne entgegen. Die Stelle des männlich erhobenen
Monoliths in Kubricks Space Odyssey nimmt eine Puppe im Badeanzug ein. Die erste Barbie
ist geboren und macht sich sofort an ihre Aufgabe das Patriarchat zu zerstören.
Barbie (Margot Robbie) lebt in ihrer perfekten Welt, einem pinken Schlaraffenland, wacht
jeden Morgen mit blendender Laune und makellosen Haaren auf, um den Tag mit den Kens
und Barbies am Strand und auf choreographierten Tanzpartys zu verbringen. Doch die
Traumwelt bekommt Risse, als seltsame Phänomene auftauchen: Barbies Dusche ist kalt, sie
muss an den Tod denken – und ihre Fersen berühren den Boden! Um ihr altes Leben
zurückzubekommen, muss sie unfreiwillig begleitet von Ken (Ryan Gosling) in die echte Welt
reisen. Dort erkennen sie zu Barbies Entsetzen und Kens Entzücken die Realität einer von
Männern regierten Welt.
Greta Gerwig hat in den wunderbaren „Frances Ha“, „Lady Bird” und „Little Women“ ihr
Gespür für feinfühlige Darstellungen starker Frauen bereits bewiesen, entsprechend groß durfte
die Neugier auf ihre Verfilmung des berühmtesten Spielzeugs der Welt sein. Und so unmöglich
dies bei dem gigantischen Hype erscheint, rechtfertigt Barbie jede Vorfreude. Der Film ist ein
kurzweiliges und urkomisches Spektakel und eine charmante Abrechnung mit dem Patriarchat.
Den Mittelpunkt des Films bildet natürlich Margot Robbie, die in der Rolle der Todesgedanken
hegenden und Tränen entdeckenden Barbie – ob sich diese auch so gut verkaufen würden? –
noch mehr glänzt als in ihrer Darstellung der „stereotypical Barbie“. Doch Ryan Gosling
verblasst neben ihr nicht, sondern erhöht in seiner wasserstoffblonden Kenergie die
Pointendichte des Films und stellt überdies alle Gebärden der Männlichkeit liebenswert als eben
solche bloß. Es scheint, als habe Gosling nur darauf gewartet, sich aus dem grauen Kokon von
„The Place Beyond the Pines“ und „Drive“ zu befreien, um sich von dem melancholisch‐
einsamen Übermann in den sein pink‐grün‐gestreiftes‐gelb‐gepunktetes Sommerhemd offen
tragenden Ken zu verpuppen. Die beiden Hauptdarsteller*innen sorgen bereits für visuellen
Genuss, die allumfassende Pinke, die für eine internationale Knappheit des Farbtons Pantone
219 sorgte, die marshmalloweske Verspieltheit des Set‐ und Kostümdesigns und die vielfältig
hinreißenden Barbies tun ihr übriges, um den Film in eine großen Freude für das Auge zu
verwandeln. Ebenso wird man den Soundtrack unter der – hoffentlich warmen – Dusche noch
lange singen. Dass sich Gerwig als womöglich die feministische Regisseurin der letzten Jahre ausgerechnet der Mattell‐Puppe annimmt, ist so mutig wie naheliegend. Kritiker mahnen, Barbie propagiere unrealistische Körperideale (die umgerechneten Maße der ersten Barbie 99–46-84 sind nämlich nicht durch ambitioniertes Training, sondern nur durch die Entfernung von Organen erreichbar)
und zementiere ein traditionelles Frauenbild. Doch die Geschichte der Puppe lässt sich auch
anders erzählen: Sie setzt ein Gegenbild zu den bis dahin vorherrschenden Baby‐Puppen, die
kleine Mädchen auf ihre Rolle als ideale Mütter vorbereiten sollten. Barbie besitzt mehrere
Doktortitel, einen Führerschein, eine Pilotenlizenz und kandidierte noch vor Hillary Clinton als
US‐Präsidentin. Sie ist berufstätig, unverheiratet, kinderlos und wohnt in ihrem eigenen Haus.
Inzwischen gibt es nicht nur schwarze und hispanische Barbies, sondern auch eine Barbie im
Rollstuhl und eine mit Trisomie 21. An diese Tradition knüpft Greta Gerwigs Barbie an. Klug
und humorvoll gelingt es dem Film, den Aberwitz des Patriarchats bloßzustellen und ihr eine
imposante Alternative entgegenzustellen. Die Künstlichkeit und Performativität des
Männlichen – man kommt nicht als Ken zur Welt, man wird es – wird in den Pferdepostern
offenbar, die Ken sich an die Wand hängt, nachdem er in einem berittenen Police‐Officer die
Beziehung zwischen Männlichkeit und Pferden entdeckt. Dass der Film es in seinem
unterhaltsamen Spiel mit Geschlechterklischees nicht vermeiden kann, selbst in so manche zu
tappen, sei ihm verziehen. Als nicht auf der Höhe der Zeit zeigt der Film sich jedoch in der
Zweiteilung in Barbies und Kens, wodurch Barbie die Binarität der Geschlechter betont und
daher auch nicht dem uralten Kampf der Geschlechter zu entkommen vermag.
Für alle Kens hält der Film die Ermutigung eine positive Männlichkeit zu finden und die
Botschaft „You are kenough“ bereit. Die Kraft der mächtigen und diversen Barbies macht
Barbie zu einer Party des Feminismus. Jede Barbie wird für ihre Einzigartigkeit gefeiert. So
möchte man am Ende des Films voller Inbrunst rufen: Es lebe das Barbiearchat!
Text: Julian Sieler
-
Rezension: 20.000 Arten von Bienen (Panagiotis P.)
Panagiotis ist für eine Woche Praktikant bei uns! Über ihn:
Panagiotis (he/him) ist ein 18-jähriger Schüler des Paul-Klee-Gymnasiums in Rottenburg am Neckar. Er liebt Filme und die Kinokunst im Allgemeinen. Deshalb entschied er sich, sein BOGY-Praktikum bei uns im Arsenal Kino zu absolvieren. Er möchte in Zukunft Autor und Drehbuchautor/Regisseur werden, außerdem liebt er Katzen und Filme mit „quirky“ Protagonisten.
Ich habe viele Gedanken darüber. Ein paar Minuten vor Beginn des Films habe ich die Inhaltsangabe auf Letterbox (Film-App) gelesen, nur um zu wissen, was mich erwartet. Und die Zusammenfassung hat mich mit Spannung erfüllt. Eine positive Darstellung von transsexuellen Menschen ist im Kino sehr selten und immer willkommen. Mein Hauptproblem mit dem Film ist jedoch, dass er eine Aussage macht und nie etwas Interessantes, Neues oder „Frisches“ aufbaut oder hinzufügt. Die Hauptaussage des Films lautet: „So wie es viele verschiedene Bienenarten gibt, gibt es auch viele verschiedene Menschen, und alle sind auf ihre Weise hilfsbereit und perfekt.“ Im Film geht es um Akzeptanz und darum, wie wir alle sein können, wer immer wir sein wollen, und er enthält auch einige großartige Metaphern zwischen der Akzeptanz von Bienen und queeren Menschen in der Gesellschaft. Und das ist großartig, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass der Film daraus nicht viel macht und es etwas „too safe “ angeht. Was ich für enttäuschend halte. Was mir jedoch sehr gut gefallen hat, ist die Schauspielerin, die Lucia, die Protagonistin des Films, spielt. Sie trägt den Film und ist eine ausgezeichnete Kinderschauspielerin. Allerdings (und das ist eigentlich keine Kritik am Film, sondern an der deutschen Synchronisation) denke ich, dass mir die Aufführungen etwas mehr Freude bereiten würden, wenn ich den Film in der Originalsprache mit Untertiteln ansehe, als ich es tatsächlich getan habe. Abgesehen von der Protagonistin habe ich jedoch das Gefühl, dass alle anderen und auch alles andere (Nebenhandlungen, Nebengeschichten usw.) so unterentwickelt sind, dass ich denke, dass es nicht in dem Film sein müsste. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es dem Film an Fokus mangelte und er viel mehr Spaß machen würde, wenn er einige Risiken eingehen würde (was seltsam ist, da Indie-Filme im Gegensatz zu großen Studiofilmen normalerweise viele Risiken eingehen, zumindest meiner Erfahrung nach) und sich stärker konzentrieren würde auf Lucia und nicht auf den Rest ihrer Familie. Alles in allem würde ich sagen, dass es auf dem Papier großartig ist, aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig.
Text: Panagiotis P.
-
Nostalgia (von Mario Martone)
“NOSTALGIA ist am Ende atmosphärisch ein gänzlich anderer Film als zu Beginn. Warum mich das sehr fasziniert hat, beschreibe ich hier.”
-
Rezension: Paranoia, Panik, Pausenhof: „Das Lehrerzimmer“
Auf der Berlinale hat „Das Lehrerzimmer“ seine Premiere gefeiert, nun kommt İlker Çataks Schulthriller in die Kinos. Die in Tübingen aufgewachsene Leonie Benesch brilliert darin als engagierte und idealistische Lehrerin, die immer tiefer in einen Alptraum gerät. Der Film ist in sieben Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert – dies ist wohlverdient.
Carla Nowak (Benesch) startet voll pädagogischem Elan in ihren neuen Job als Lehrerin am Emmy‐Noether‐Gymnasium. Ihre Schüler*innen begrüßt sie mit einem Guten‐Morgen‐Ritual, dem talentierten Oskar (Leonard Stettnisch) leiht sie ihren Zauberwürfel, für den förderungsbedürftigen Ali setzt sie sich ein. Doch als eine Diebstahlserie die Schule heimsucht, stoßen ihr Ringen um Integrität und ihre Lehrbuch‐Methoden an Grenzen. Carla nimmt eigene Ermittlungen auf und verdächtigt ausgerechnet die „gute Seele“ der Schule Friederike Kuhn (Eva Löbau). Die Folgen schlagen über ihr zusammen. Ihre Klasse verschwört sich gegen sie, im Lehrerzimmer werden die Fronten härter, ein Elternabend wird zum Tribunal. Immer tiefer gerät die Lehrerin in einen Malstrom.
Nie verlässt die Kamera das Schulgelände, der Film ist ein intensives Kammerspiel. Filmkomponist Marvin Miller hetzt Nowak mit gezupften Geigen durch das Schulhaus, Kamerafrau Judith Kaufmann sperrt Nowak in das enge 4:3 Format. Es scheint, die Wände schließen sich dichter um sie, die Korridore werden zu einem Labyrinth. Die Schule wird zu einem klaustrophobischen „haunted house“, in dem Carla immer isolierter ist. Die autoritären Methoden der älteren Lehrkräfte geraten in Konflikt mit dem naiven Idealismus Carlas. Gut und Böse verschwimmen, bereits früh im Film verliert man die moralische Orientierung. Schüler*innen werden verhört, zur Denunziation getrieben, falsche Anschuldigungen geäußert. Neben der Thriller‐Handlung ist der Film eine schonungslose Sozialstudie deutscher Schulen. Komplexe soziale Dynamiken, Mobbing und Rassismus herrschen vor – und die Schüler*innen sind nur wenig besser. Lehrkräfte werden verbrannt bis bloßer Zynismus übrigbleibt. Schwierige Schüler*innen sind eine Herausforderung, die von schwierigen Eltern noch übertroffen wird. Es muss sich etwas ändern, doch wie, wenn selbst Carla Nowak an ihre Grenzen gerät?
„Das Lehrerzimmer“ fesselt in jeder Sekunde und fasziniert als Milieustudie einer Schule und Psychogramm einer auf die Probe gestellten Lehrerin. Ein Kinobesuch lohnt sehr. Besonders Leonie Benesch begeistert, die Goldene Lola für die beste weibliche Hauptrolle beim Deutschen Filmpreis wäre hochverdient. Wie viele Erfahrungen aus Beneschs Zeit an der Freien Waldorfschule in Tübingen in den Film eingeflossen sind, bleibt jedoch offen.
Auch Du würdest gerne Deine Liebe zum Film zum Ausdruck bringen und hättest Interesse daran, sich am Schreiben oder Aufzeichnen Deiner Eindrücke von unseren Kinosälen auf regelmäßiger Basis zu beteiligen? Wir würden uns sehr freuen, Dich kennen zu lernen, bitte nehme einfach Kontakt mit uns auf.