Das Publikum im ausverkauften Arsenal scheint dem Film entsprungen zu sein, jeder Ton der
Farbe Pink lässt sich erblicken. Endlich hat das lange Warten auf den Film ein Ende. Die Klänge
von Also sprach Zarathustra ertönen, die Beine einer blonden Frauenfigur recken sich endlos
aus dem Wüstenboden der aufgehenden Sonne entgegen. Die Stelle des männlich erhobenen
Monoliths in Kubricks Space Odyssey nimmt eine Puppe im Badeanzug ein. Die erste Barbie
ist geboren und macht sich sofort an ihre Aufgabe das Patriarchat zu zerstören.
Barbie (Margot Robbie) lebt in ihrer perfekten Welt, einem pinken Schlaraffenland, wacht
jeden Morgen mit blendender Laune und makellosen Haaren auf, um den Tag mit den Kens
und Barbies am Strand und auf choreographierten Tanzpartys zu verbringen. Doch die
Traumwelt bekommt Risse, als seltsame Phänomene auftauchen: Barbies Dusche ist kalt, sie
muss an den Tod denken – und ihre Fersen berühren den Boden! Um ihr altes Leben
zurückzubekommen, muss sie unfreiwillig begleitet von Ken (Ryan Gosling) in die echte Welt
reisen. Dort erkennen sie zu Barbies Entsetzen und Kens Entzücken die Realität einer von
Männern regierten Welt.
Greta Gerwig hat in den wunderbaren „Frances Ha“, „Lady Bird” und „Little Women“ ihr
Gespür für feinfühlige Darstellungen starker Frauen bereits bewiesen, entsprechend groß durfte
die Neugier auf ihre Verfilmung des berühmtesten Spielzeugs der Welt sein. Und so unmöglich
dies bei dem gigantischen Hype erscheint, rechtfertigt Barbie jede Vorfreude. Der Film ist ein
kurzweiliges und urkomisches Spektakel und eine charmante Abrechnung mit dem Patriarchat.
Den Mittelpunkt des Films bildet natürlich Margot Robbie, die in der Rolle der Todesgedanken
hegenden und Tränen entdeckenden Barbie – ob sich diese auch so gut verkaufen würden? –
noch mehr glänzt als in ihrer Darstellung der „stereotypical Barbie“. Doch Ryan Gosling
verblasst neben ihr nicht, sondern erhöht in seiner wasserstoffblonden Kenergie die
Pointendichte des Films und stellt überdies alle Gebärden der Männlichkeit liebenswert als eben
solche bloß. Es scheint, als habe Gosling nur darauf gewartet, sich aus dem grauen Kokon von
„The Place Beyond the Pines“ und „Drive“ zu befreien, um sich von dem melancholisch‐
einsamen Übermann in den sein pink‐grün‐gestreiftes‐gelb‐gepunktetes Sommerhemd offen
tragenden Ken zu verpuppen. Die beiden Hauptdarsteller*innen sorgen bereits für visuellen
Genuss, die allumfassende Pinke, die für eine internationale Knappheit des Farbtons Pantone
219 sorgte, die marshmalloweske Verspieltheit des Set‐ und Kostümdesigns und die vielfältig
hinreißenden Barbies tun ihr übriges, um den Film in eine großen Freude für das Auge zu
verwandeln. Ebenso wird man den Soundtrack unter der – hoffentlich warmen – Dusche noch
lange singen. Dass sich Gerwig als womöglich die feministische Regisseurin der letzten Jahre ausgerechnet der Mattell‐Puppe annimmt, ist so mutig wie naheliegend. Kritiker mahnen, Barbie propagiere unrealistische Körperideale (die umgerechneten Maße der ersten Barbie 99–46-84 sind nämlich nicht durch ambitioniertes Training, sondern nur durch die Entfernung von Organen erreichbar)
und zementiere ein traditionelles Frauenbild. Doch die Geschichte der Puppe lässt sich auch
anders erzählen: Sie setzt ein Gegenbild zu den bis dahin vorherrschenden Baby‐Puppen, die
kleine Mädchen auf ihre Rolle als ideale Mütter vorbereiten sollten. Barbie besitzt mehrere
Doktortitel, einen Führerschein, eine Pilotenlizenz und kandidierte noch vor Hillary Clinton als
US‐Präsidentin. Sie ist berufstätig, unverheiratet, kinderlos und wohnt in ihrem eigenen Haus.
Inzwischen gibt es nicht nur schwarze und hispanische Barbies, sondern auch eine Barbie im
Rollstuhl und eine mit Trisomie 21. An diese Tradition knüpft Greta Gerwigs Barbie an. Klug
und humorvoll gelingt es dem Film, den Aberwitz des Patriarchats bloßzustellen und ihr eine
imposante Alternative entgegenzustellen. Die Künstlichkeit und Performativität des
Männlichen – man kommt nicht als Ken zur Welt, man wird es – wird in den Pferdepostern
offenbar, die Ken sich an die Wand hängt, nachdem er in einem berittenen Police‐Officer die
Beziehung zwischen Männlichkeit und Pferden entdeckt. Dass der Film es in seinem
unterhaltsamen Spiel mit Geschlechterklischees nicht vermeiden kann, selbst in so manche zu
tappen, sei ihm verziehen. Als nicht auf der Höhe der Zeit zeigt der Film sich jedoch in der
Zweiteilung in Barbies und Kens, wodurch Barbie die Binarität der Geschlechter betont und
daher auch nicht dem uralten Kampf der Geschlechter zu entkommen vermag.
Für alle Kens hält der Film die Ermutigung eine positive Männlichkeit zu finden und die
Botschaft „You are kenough“ bereit. Die Kraft der mächtigen und diversen Barbies macht
Barbie zu einer Party des Feminismus. Jede Barbie wird für ihre Einzigartigkeit gefeiert. So
möchte man am Ende des Films voller Inbrunst rufen: Es lebe das Barbiearchat!
Text: Julian Sieler