Auf der Berlinale hat „Das Lehrerzimmer“ seine Premiere gefeiert, nun kommt İlker Çataks Schulthriller in die Kinos. Die in Tübingen aufgewachsene Leonie Benesch brilliert darin als engagierte und idealistische Lehrerin, die immer tiefer in einen Alptraum gerät. Der Film ist in sieben Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert – dies ist wohlverdient.
Carla Nowak (Benesch) startet voll pädagogischem Elan in ihren neuen Job als Lehrerin am Emmy‐Noether‐Gymnasium. Ihre Schüler*innen begrüßt sie mit einem Guten‐Morgen‐Ritual, dem talentierten Oskar (Leonard Stettnisch) leiht sie ihren Zauberwürfel, für den förderungsbedürftigen Ali setzt sie sich ein. Doch als eine Diebstahlserie die Schule heimsucht, stoßen ihr Ringen um Integrität und ihre Lehrbuch‐Methoden an Grenzen. Carla nimmt eigene Ermittlungen auf und verdächtigt ausgerechnet die „gute Seele“ der Schule Friederike Kuhn (Eva Löbau). Die Folgen schlagen über ihr zusammen. Ihre Klasse verschwört sich gegen sie, im Lehrerzimmer werden die Fronten härter, ein Elternabend wird zum Tribunal. Immer tiefer gerät die Lehrerin in einen Malstrom.
Nie verlässt die Kamera das Schulgelände, der Film ist ein intensives Kammerspiel. Filmkomponist Marvin Miller hetzt Nowak mit gezupften Geigen durch das Schulhaus, Kamerafrau Judith Kaufmann sperrt Nowak in das enge 4:3 Format. Es scheint, die Wände schließen sich dichter um sie, die Korridore werden zu einem Labyrinth. Die Schule wird zu einem klaustrophobischen „haunted house“, in dem Carla immer isolierter ist. Die autoritären Methoden der älteren Lehrkräfte geraten in Konflikt mit dem naiven Idealismus Carlas. Gut und Böse verschwimmen, bereits früh im Film verliert man die moralische Orientierung. Schüler*innen werden verhört, zur Denunziation getrieben, falsche Anschuldigungen geäußert. Neben der Thriller‐Handlung ist der Film eine schonungslose Sozialstudie deutscher Schulen. Komplexe soziale Dynamiken, Mobbing und Rassismus herrschen vor – und die Schüler*innen sind nur wenig besser. Lehrkräfte werden verbrannt bis bloßer Zynismus übrigbleibt. Schwierige Schüler*innen sind eine Herausforderung, die von schwierigen Eltern noch übertroffen wird. Es muss sich etwas ändern, doch wie, wenn selbst Carla Nowak an ihre Grenzen gerät?
„Das Lehrerzimmer“ fesselt in jeder Sekunde und fasziniert als Milieustudie einer Schule und Psychogramm einer auf die Probe gestellten Lehrerin. Ein Kinobesuch lohnt sehr. Besonders Leonie Benesch begeistert, die Goldene Lola für die beste weibliche Hauptrolle beim Deutschen Filmpreis wäre hochverdient. Wie viele Erfahrungen aus Beneschs Zeit an der Freien Waldorfschule in Tübingen in den Film eingeflossen sind, bleibt jedoch offen.